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Thomas Hardy – Woman Much Missed

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Ich habe an der Uni Thomas Hardy gelesen und sein Roman „Tess of the d’Urbervilles“ war Thema in meiner Anglistik-Zwischenprüfung. Ich fand den Roman nicht schlecht, las aber nie mehr Hardy und als ich ein Buch von ihm bei meinen Penguin Classics entdeckt habe, fand ich, das sei die Gelegenheit, mal wieder etwas Zeit mit Hardy zu verbringen.
Ich war ehrlich gesagt total erstaunt, als ich das Buch aufschlug und feststellte, dass es sich hier um Lyrik handelt. Und obwohl ich Lyrik durchaus sehr mag, setze ich mich nie daheim hin und lese Gedichte. „Mach ich das jetzt?“, fragte ich mich. Und dann dachte ich, ich versuch’s mal.

Ich fand – offen gestanden zu meinem Erstaunen – viele dieser Gedichte erstaunlich schön, sehr traurig, sehr aussagekräftig. Ich habe alle diese Gedichte zweimal gelesen, und gerade jetzt die markierten noch einmal, und ich denke: ich sollte vielleicht doch mehr Lyrik lesen.
Zum Beispiel wegen Gedichten wie diesem:

Shut Out That Moon
Close up the casement, draw the blind,
Shut out that stealing moon,
She wears too much the guise she wore
Before our lutes were strewn
With years-deep dust, and names we read
On a white stone were hewn.

Step not forth on the dew-dashed lawn
To view the Lady’s Chair,
Immense Orion’s glittering form,
The Less and Greater Bear:
Stay in; to such sights we were drawn
When faded ones were fair.

Brush not the bough for midnight scents
That come forth lingeringly,
And wake the same sweet sentiments
They breathed to you and me
When living seemed a laugh, and love
All it was said to be.

Within the common lamp-lit room
Prison my eyes and thought;
Let dingy details crudely loom,
Mechanic speech be wrought:
Too fragrant was Life’s early bloom,
Too tart the fruit it brought!

Ich finde das Gedicht total schön. Wie viele andere in diesem kleinen Band beschreibt es große Gefühle in kleinen Momenten, und das gefällt mir, denn es sind ja doch später oft die vermeintlich kleinen Momente, an die man gerne denkt.

Viele der Gedichte handeln von Abschied, vom Verlust einer Liebe – meistens durch den Tod – und ich gebe zu, dass ich gerade diese Gedichte wunderschön und als unheimlich ehrlich empfunden habe.
Es ist schwer, über solche Texte zu schreiben, ohne sie zu auseinanderzunehmen, aber gerade das möchte ich nicht. Ich möchte sie wirken lassen und vielleicht hoffen, dass jemand sie auch lesen und lieben wird. Deswegen nur Ausschnitte:

She did not turn,
But passed foot-faint with averted head
In her gown of green, by the bobbing fern,
Though I leaned over the gate that led
From where we waited with table spread;
But she did not turn:
Why was she near if love had fled?
(p. 50: She Did not Turn)

Dieses Gedicht mag ich so sehr, weil es eine Situation beschreibt, die man sich so gut vorstellen kann: wie jemand, den man liebt, der die Liebe aber nicht mehr erwidert, vorbeigeht, ohne sich umzudrehen, an einem selbst, oder auch an einem Ort, der eigentlich mal etwas bedeutet hat.

Ein anderes wunderschönes Gedicht namens „The Spell of the Rose“ (p. 34) erzählt auch von unglücklicher Liebe. Der Mann baut für seine Frau ein Häuschen, pflanzt Blumen, macht alles schön, nur Rosen pflanzt er nicht. Die Frau ist darüber traurig, und als die Liebe der beiden erkaltet, glaubt sie, es liege daran, dass die Blume der Liebe ihnen fehlt. Nachts schleicht sie in den Garten und pflanzt heimlich einen Rosenstrauch. Bevor dieser doch erblüht, stirbt sie. Traurig fragt sich das lyrische Ich, nämlich die verstorbene Frau, was das mit ihrem Mann macht:

Perhaps now blooms that queen of trees
I set but saw not grow,
And he, beside its glow –
Eyes couched of the mis-vision that blurred me –
Ay, there beside that queen of trees
He sees me as I was, though sees
Too late to tell me so!

Und dann sind da noch die drei Gedichte, in denen ein männliches lyrisches Ich Abschied von einer Frau nimmt, die verstorben ist: „Lament“ (p. 14), das am Geburtstag der Frau spielt, dann „Your Last Drive“ (p. 6), ein Gedicht, in dem ein Mann liebevoll an die letzte Autofahrt mit seiner Frau zurückdenkt, die acht Tage später starb, und er weiß, dass er nichts hätte ändern können, wenn er bei dem Unfall bei ihr gewesen wäre, und das jetzt all das, was ihn so beschäftigt, für sie keine Rolle mehr spielt. Das Gedicht finde ich toll, weil es zeigt, wie wir versuchen, uns an etwas – oder jemandem – festzuhalten, das oder den es nicht mehr gibt. Schwer in Worte zu fassen, aber es hat mich sehr beschäftigt.
Ähnlich ist es bei „The Going“ (p. 4), das davon erzählt, wie schwer dem lyrischen Ich das Loslassen seiner verstorbenen Geliebten fällt, von der er nicht Abschied nehmen konnte und die er schmerzlicher vermisst, als er geahnt hätte:

Well, well! All’s past amend,
Unchangeable. It must go.
I seem but a dead man held on end
To sink down soon… O you could not know
That such swift fleeing
No soul foreseeing –
Not even I – would undo me so!

Für mich ist das Besondere an den Gedichten, dass sie Gefühle so unverblümt zeigen. Dass man zum Beispiel von Traurigkeit viel mehr überwältigt wird, als man es je geahnt hätte, dass man Momente erlebt, in denen es einfach zu spät ist, bestimmte Dinge zu sagen. Die Traurigkeit, die man dann erlebt. All das.
Und dann ist da noch dieses Gedicht: „The Phantom Horsewoman“. Es handelt von einem Mann, der immer wieder am Strand auf das Meer hinaussieht, wo in seiner Vorstellung immer wieder eine junge Frau auf einem Pferd entlangreitet. In meiner Vorstellung ist es Abend oder Nacht, wenn er das tut, aber das ist wirklich nur in meinem Kopf. Dennoch. Ein wunderschönes Gedicht.

Leicht ist es nicht, über Lyrik zu schreiben, man gibt gefühlt viel von sich preis, und gleichzeitig ist es schwer, das Gefühl zu vermitteln, das hier entsteht.
Gerade jetzt habe ich aber doch wieder das Gefühl, dass ich mehr Lyrik lesen möchte.



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